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Wie ist der Alltag als Veganer? Einer von ihnen hat uns seine Geschichte erzählt

Eine vegane Lebensweise ist so einfach wie noch nie. Viele Menschen versuchen, ein Leben ohne tierische Produkte zu führen. Aber wie ist es so, in Deutschland komplett „vegan“ zu leben? Ein Veganer erzählt uns seine Geschichte.

20.04.2023 • 07:10 Uhr

Wie ist der Alltag als Veganer? Einer von ihnen hat uns seine Geschichte erzählt

Laut Allensbacher Werbeanalyse ernährten sich 2022 rund 1,58 Millionen Menschen in Deutschland vegan. Weitaus mehr sind an einer Reduktion ihres Fleischkonsums interessiert bzw. versuchen Alternativen zu tierischen Lebensmitteln in ihren Alltag einzubauen, um mehr Tierwohl und eine gesunde Lebensweise zu etablieren. Dank immer neuer veganer Ersatzprodukte für Fleisch und Milch wird vegane Ernährung zunehmend leichter. Auch der Wechsel zu Naturkosmetik ohne Tierversuche zählt beispielsweise zum veganen Lifestyle.

Nun in die Praxis: Reisen, Familienfeiern, mit Freunden kochen oder essen gehen – Wie ist das Leben als Veganer? Wie reagiert das eigene Umfeld auf so eine Lebensumstellung? Wie sieht der Alltag ohne tierische Produkte aus? Wo gibt es Verbesserungspotenzial in unserer Gesellschaft?

Hendrik B. (Name geändert) ist 32 Jahre alt und arbeitet als Projektmanager und Kundenberater in Werbeagenturen. Seit 2019 lebt er vegan. Auf eine vegetarische Ernährung war er schon früher umgestiegen.

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Du lebst bereits seit 2019 vegan und noch länger vegetarisch. Was hat sich in der Lebensmittelbranche verändert, seitdem du begonnen hast, konsequent auf Fleisch zu verzichten?

Extrem viel, zumindest was das Angebot an veganen Lebensmitteln angeht. Wenn man 2019 in einen Supermarkt gegangen ist und nach veganem Aufstrich, Käse etc. oder veganen Tiefkühlprodukten gesucht hat, gab es nur sehr wenig Auswahl (wenn überhaupt...). Selbst die Auswahl an vegetarischen Tiefkühlprodukten war äußert gering, wenn man nicht nur Gemüse-Pizza oder Pommes essen möchte. Vegane Lebensmittel gab es vor allem in Biomärkten oder einzelnen Drogeriemärkten. 2019 hatte beispielsweise dm schon eine große Auswahl an veganen Produkten.

Das hat sich innerhalb der letzten vier Jahre allerdings komplett geändert. Von Jahr zu Jahr schafften es immer mehr vegane Alternativen in die Regale der Supermärkte und haben heute teilweise eigene Abteilungen. Selbst unter den Alternativen gibt es heutzutage eine Auswahl. Beispielsweise gibt es bei Rewe oder Edeka mittlerweile eine Auswahl von 3 bis 4 Käse-Alternativen (von verschiedenen Marken). Rewe, Aldi und Lidl bieten sogar schon eigene vegane Produktreihen an. Immer wenn wieder etwas neues Veganes auf den Markt kommt, sage ich mit einem zwinkernden Auge: „Ich bin genau zum richtigen Zeitpunkt Veganer geworden“.

Heute vegan oder vegetarisch im Supermarkt einzukaufen ist sehr einfach geworden. Sehr viele Marken haben vegetarische und vegane Alternativen ihrer eigenen Produkte auf den Markt gebracht. Meiner Meinung nach eine tolle Entwicklung. [...]

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Was hat dich damals bewogen, auf eine vegetarische Ernährung umzusteigen und letztendlich komplett vegan zu leben? Gab es einen bestimmten „Auslöser“ bzw. „Aha-Moment“? Oder war es vielmehr ein Prozess?

Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es war auf jeden Fall ein Prozess. Ich habe diese Entscheidung nicht von heute auf morgen getroffen. Einen speziellen „Aha-Moment“ gab es auch nicht. Es war so eine Art schleichende Entwicklung. Von Zeit zu Zeit habe ich mich immer unwohler gefühlt Fleisch zu essen und mein Bauchgefühl hat mir irgendwie mehr und mehr geraten weniger Fleisch zu essen.

Was mich allerdings stark beeinflusst hat, war ein Kollege von mir, der ein sehr aktiver Umweltschützer ist und mir viel über die Zusammenhänge von Ernährung und Umweltschutz erzählt hat. Dass beispielsweise der Regenwald abgeholzt wird, um Platz für den Anbau von Tierfutter zu schaffen. So sind immer mehr Informationen darüber auf mich eingeprasselt und ich habe viel dazu recherchiert. Der Gedanke, dass ein Tier getötet wurde, damit ich es essen kann, hat mich immer mehr beschäftigt und ich fand diesen Gedanken von Tag zu Tag immer schlimmer. Da ist dann irgendwann die Entscheidung gefallen, komplett auf Fleisch zu verzichten und das auch mit einem richtig guten Gefühl.

Die Entscheidung, mich dann sogar vegan zu ernähren, kam aus gesundheitlichen Gründen. 2017 wurde bei mir eine chronische Darmerkrankung festgestellt (Culitis Ulcerosa). Man kann für diese Krankheit keine genaue Ursache bestimmen, aber es wird stark davon ausgegangen, dass es mit der Ernährung zu tun hat. Mit Medikamenten haben wir die Erkrankung gut in den Griff bekommen. Allerdings war ein Medikament davon eine Spritze mit Antikörpern, die ich alle zwei Wochen nehmen musste und die eine echte „Chemie-Bombe“ war. Die hat bei mir oft zu unangenehmen Nebenwirkungen geführt, aber es gab keine Alternative.

Es ist zwar keine bewiesene Heilungsmethode, aber meine Recherchen und Gespräche mit verschiedenen Ärzten haben ergeben, dass eine vegane Ernährung bei einer chronischen Darmerkrankung durchaus helfen kann und vielen Patienten auch schon geholfen hat. Also habe ich, weil ich mich ja eh schon vegetarisch ernähre, es einfach mal ausprobiert, mich vegan zu ernähren und die Spritzen abzusetzen. Das war gar nicht so einfach, da ich Käse und Ei schon ziemlich geliebt habe. Aber mir hat es tatsächlich geholfen und ich habe bis heute keine Probleme mit der Erkrankung und musste die Spritzen auch nie wieder nehmen.

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Wie hat dein Umfeld auf deinen Lebenswandel reagiert? Was sagten Familie, Freunde und Kollegen?

Mein Umfeld hat zunächst sehr überrascht reagiert. Ich war vorher ein wirklicher Fleischliebhaber und habe mich auch ab und zu über Veganer lustig gemacht, nicht direkt über eine spezifische Person, sondern eher über den allgemeinen Ernährungs-Stil. Daher war es für alle natürlich sehr komisch, dass ausgerechnet ich jetzt diese Entscheidung getroffen habe. Dass ich mich vegetarisch ernähre, war allerdings kein großer Aufreger. Es gibt mehrere Freunde in meinem Umfeld, die auch vegetarisch leben, und daher ist es bei uns schon völlig akzeptiert und normal.

Sich vegan zu ernähren, war dann allerdings etwas Neues und Besonderes. Das haben viele zunächst nicht verstanden oder waren zumindest skeptisch. Sobald ich aber erklärt habe, warum ich das tue, kam mir großes Verständnis entgegen und alle haben diese Entscheidung unterstützt. Meine Familie hat sich das sogar zum Anlass genommen, deutlich weniger Fleisch zu essen und viele vegane Rezepte auszuprobieren, an denen sie richtig Gefallen gefunden haben. Bei meinen Freunden ist das allerdings noch nicht so angekommen. Die essen weiterhin sehr gerne Fleisch. Wenn ich aber mal für diese Freunde koche und ihnen vegane Gerichte serviere, sind sie meistens überrascht, wie gut das schmeckt.

Zu Anfang war meine neue Ernährung oft Thema, aber mittlerweile spricht keiner mehr darüber und es ist völlig normal. Viele Freunde freuen sich sogar, mir eine vegane Alternative zu servieren und nehmen stets Rücksicht auf mich, was mir mitunter fast schon peinlich ist.

Hast du durch deinen veganen Lebensstil auch neue Freunde gefunden?

Nein. Neue Freunde habe ich dadurch nicht gefunden. Es kommt aber sehr oft vor, dass man sich auf Veranstaltungen, Geburtstagen, Feiern etc. mit fremden Leuten gut darüber unterhalten kann, sollte dieses Thema aufkommen. Ich selbst bringe dieses Thema nie auf den Tisch. Meistens sind Leute daran sehr interessiert oder teilen eigene Erfahrungen. Es kommt aber immer häufiger vor, dass man dort Veganer trifft.

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Gab es so richtig unangenehme Situationen für dich, in denen es dir lieber gewesen wäre, die anderen wüssten nichts von deiner veganen Lebensweise?

Nein, das ist so bisher noch nicht vorgekommen. Es ist mir aber stets unangenehm, wenn meine vegane Ernährung bei einem Essen in den Mittelpunkt rückt bzw. nur meinetwegen ein extra Aufwand betrieben werden muss. Beispielsweise, wenn man bei einem Grillabend eingeladen ist und der Gastgeber nur meinetwegen extra etwas Veganes zubereiten muss. [...]

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Fühlst du dich durch deine vegane Ernährung im Alltag manchmal eingeschränkt? Ist es schwierig für dich zu reisen oder mit Freunden Essen zu gehen?

Ja definitiv. Ich lebe in Hamburg, da ist es mittlerweile sehr einfach, vegan essen zu gehen bzw. fast jedes Restaurant hat eine vegane Alternative auf der Karte. Aber eben nicht jedes. Wenn man in einem Restaurant ist, welches keine vegane Alternative anbietet, hat man stets ein Problem, das nur schwierig zu lösen ist. Sobald man aus der Großstadt raus ist, wird es sowieso immer schwieriger, vegane Alternativen zu finden. In ländlichen Gegenden, vor allem im Süden Deutschlands, ist es sehr sehr selten, dass ein Restaurant eine echte vegane Alternative anbietet.

Auch beim Kochen mit Freunden oder den bereits beschriebenen Grillabenden muss ich immer einen extra Aufwand betreiben, um mich vegan ernähren zu können. Beispielsweise wenn wir ein Gericht kochen und alle dazu Hühnchen essen, muss ich mir eine extra Pfanne mit Tofu machen.

Im Urlaub wird es noch schwieriger. Ich war beispielsweise zwei Wochen auf Teneriffa und in den Restaurants dort gab es fast nie eine vegane Alternative. Und wenn doch, dann war es immer eine Gemüsepfanne, die man dann auch irgendwann nicht mehr sehen kann. [...]

Welche Klischees über Veganer regen dich so richtig auf?

Das Klischee, dass Veganer ihre Lebensweise immer erwähnen und anderen aufdrücken müssen, regt mich sehr auf und stimmt auch einfach nicht. Alle Veganer, die ich kenne, tun das für sich selbst und haben keine Probleme damit, dass sich die anderen nicht vegan oder vegetarisch ernähren. „Wir“ machen anderen auch keine Vorwürfe, dass sie Fleisch essen und versuchen nicht, ihnen das Essen madig zu machen, indem wir sagen, dass sie Mörder sind oder so.
Auch dass „wir“ uns als etwas Besseres sehen, weil „wir“ ja mehr für die Umwelt tun und erkannt haben, wie schlecht es ist Fleisch zu essen, stimmt nicht und regt mich auf.

Für viele bedeutet eine vegane Lebensweise automatisch mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Was macht eine vegane Lebensweise NICHT nachhaltig? Was würdest du sagen?

Meiner Meinung nach liegen die Nachhaltigkeit und der Umweltschutz hauptsächlich daran, dass die Viehhaltung einer der größten Erzeuger von CO2-Ausstoß ist und dies durch einen geringeren Fleischkonsum deutlich reduziert werden könnte. Aber auch viele vegane Produkte werden weiterhin in Plastik verkauft und nur weil große Fleischkonzerne jetzt auch vegane und vegetarische Alternativen anbieten, heißt das ja nicht, dass sie dadurch nachhaltiger agieren. Ganz im Gegenteil: Dadurch, dass man beispielsweise vegane Produkte von großen Fleischkonzernen kauft, unterstützt man diese Unternehmen ja auch noch.

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Welche drei Dinge würdest du dir als Veganer von deinen Mitmenschen wünschen? Was sollten wir als Gesellschaft verbessern?

  1. Keiner muss auf Fleisch verzichten, aber alle sollten ihren Fleischkonsum verringern.

  2. Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft, wenn schon Fleisch dann bewusster Fleisch isst und hinterfragt woher das Fleisch kommt und wie es produziert wurde. Ich würde mir wünschen, dass sie ganz bewusst aufhört Billigfleisch zu kaufen und wir dafür sorgen, dass nachhaltige und gesunde Ernährung billiger wird als eine ungesunde und umweltschädliche Ernährung. Mehr Menschen sollten begreifen, wie schlimm es ist, Fleisch von Großkonzernen wie Tönnies zu kaufen.

  3. Ich würde mir wünschen, dass es auf der Karte von allen Restaurants nicht mehr „vegetarische Alternative“ heißt, sondern dies ganz normal angeboten wird. Dies suggeriert immer, dass ein Gericht aus Fleisch bestehen muss, um als Hauptgericht zu gelten.

Zu guter Letzt: Welche Tipps gibst du Menschen, die vegan leben wollen, aber dadurch Probleme mit ihrem Umfeld bekommen – ob Familie, Freunde oder Arbeitskollegen. Was motiviert sie durchzuhalten und wie können sie ihre Situation verbessern?

Ich würde jedem raten, nicht von 0 auf 100 in die vegane Ernährung zu starten. Es hilft nicht von heute auf morgen, auf Fleisch, Käse etc., was man vorher so geliebt hat, zu verzichten. Verzicht ist nicht gut für die Psyche und wird nie zum Erfolg führen.

Wenn man sich dazu entscheidet, sollte man dies Stück für Stück tun. Erst einmal anfangen, weniger Fleisch zu essen und dann mit der Zeit irgendwann gar kein Fleisch mehr essen und sich komplett vegetarisch ernähren. Dabei sollte man sich aber keine Vorwürfe machen, wenn man sich doch mal eine Ausnahme gönnt. Man sollte dann auf seine Psyche und seinen Körper hören, wie man damit klarkommt und ob man glücklich damit ist. Danach kann man den gleichen Prozess mit dem Schritt zur veganen Ernährung machen. Einfach anfangen, weniger Milchprodukte und Ei zu essen, bis man irgendwann komplett drauf verzichten kann.

Man sollte seinen Körper nicht dazu zwingen, sich vegan zu ernähren, sondern ihn daran gewöhnen. [...] Eine große Hilfe hierbei sind die unzähligen Blogs und Bücher zu tollen veganen Rezepten. Wenn man dort sieht, was es überhaupt alles an veganen Gerichten gibt, hat man richtig Lust diese auszuprobieren und zu kochen, und ist dann immer wieder überrascht, wie toll das schmeckt.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass heutzutage keiner mehr ein Problem mit Veganern hat, und es mehr und mehr zur Normalität gehört. Das liegt aber auch sicher an der „Bubble“, in der ich lebe. Sollten Probleme im Umfeld dadurch auftreten, braucht man wohl ein dickes Fell, aber ich denke, wenn man von der Sache wirklich überzeugt ist, kann man mit Kritik oder Unmut sehr gut umgehen.