Autofreie Innenstädte: Sieht so unsere Zukunft aus?

Infolge des Klimawandels und erhöhten Verkehrsaufkommens in den Städten werden die Rufe nach autofreien Innenstädten immer lauter. Viele Menschen wollen, dass die Umweltverschmutzung durch die Abgase, der Verkehrslärm und die vollgestopften Straßen bald der Vergangenheit angehören. Doch es gibt auch eine breite Front, die gegen autofreie Innenstädte ist. Wir betrachten die Vor- und Nachteile dieses Zukunftsszenarios und beleuchten, ob autofreie Innenstädte in Deutschland mittelfristig realistisch sind.

10.02.2022 • 14:47 Uhr

Autofreie Innenstädte: Sieht so unsere Zukunft aus?

Amsterdam und andere europäische Städte als Vorbild

Befürworter der autofreien Innenstädte blicken gerne nach Amsterdam und in weitere europäische Metropolen wie Kopenhagen und Wien. Diese Städte haben fortschrittliche Mobilitätskonzepte entwickelt, um den Autoverkehr in den Zentren deutlich zu reduzieren. Amsterdam zum Beispiel gilt als eine der fahrradfreundlichsten Städte der Welt – hier gibt es mehr Fahrräder als Einwohner und die Fahrradwege und -spuren sind vorbildlich ausgebaut. Dazu kommen viele verkehrsberuhigte Zonen, in die man nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad reinkommt. Ebenfalls baut die niederländische Hauptstadt im größeren Stil Parkplätze ab und testet verschiedene Konzepte, um Autos noch mehr aus der City zu verbannen. Vor einiger Zeit hat die Stadt ein Viertel einen Monat lang probeweise für Autos gesperrt, um zu schauen, wie sich das auswirkt. Die Anwohner konnten überzeugt werden, ihre Autos während des Probezeitraums außerhalb des Viertels zu parken. Nach Ablauf des Testmonats zeigten sich viele Bewohner begeistert und schwärmten davon, dass man nun aufgrund der fehlenden Abgase wieder Blumen riechen könne und kein Verkehrslärm mehr die Stadtidylle störe. Die Parkstreifen am Rande der Straßen wurden zugleich in Grünflächen verwandelt, die diese Idylle noch verstärkten.

Das sind die Vorteile von autofreien Innenstädten

So oder ähnlich sieht auch das Idealbild vieler Menschen aus, die sich in Deutschland autofreie Innenstädte wünschen. Doch es gibt auch massiven Widerstand gegen dieses Zukunftsszenario. Wir werfen zunächst einen Blick darauf, was für autofreie Innenstädte spricht.

Umweltschutz und Gesundheit

Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind in aller Munde. Die Bundesregierung verfolgt ehrgeizige Klimaziele und will Deutschland bis 2045 klimaneutral machen. Dazu könnten autofreie Innenstädte einen nicht unwesentlichen Beitrag leisten, denn immerhin stammen rund 18 Prozent der deutschen CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr. Wer häufiger in vollgestopften deutschen Innenstädten unterwegs ist, kann bestätigen, dass die Luft dort aufgrund der vielen Abgase nicht die beste ist. Diese Autoabgase sind aber nicht nur schädlich für die Umwelt, sondern auch für die Gesundheit der Menschen. Wer sich ihnen regelmäßig ausgesetzt sieht, ist anfälliger für Atemwegserkrankungen sowie Herz- und Kreislaufprobleme. Sowohl die Umweltbelastung als auch das Gesundheitsrisiko wiegen schwer. Dazu kommt der weit verbreitete Bewegungsmangel in der Bevölkerung, der viele Krankheiten begünstigt. Befürworter der autofreien Innenstädte argumentieren, dass ein Verzicht auf das KFZ viele Menschen automatisch dazu veranlassen würde, sich mehr zu bewegen, weil sie verstärkt zu Fuß oder per Fahrrad unterwegs wären.

Sicherheit

Es reicht aus, die Tageszeitung aufzuschlagen und es wird nicht lange dauern, bis man über Unfälle im Straßenverkehr liest. In mit Autos vollgestopften Innenstädten ist dies verstärkt der Fall – insbesondere Radfahrer, aber auch Fußgänger, leben hier gefährlich. Nicht selten sind auch Kinder auf dem Weg zur Schule oder von dort zurück nach Hause betroffen. Alleine die Sorge der Eltern, deren Kinder sich tagtäglich in Metropolen wie Berlin, Hamburg oder Köln auf den Weg zur Schule machen, schmälert die Lebensqualität. Autofreie Straßen würden für wesentlich mehr Sicherheit und Entspannung sorgen.

Mehr Lebensqualität in den Städten

Eine bessere Luft, weniger Stress, mehr Platz durch die Abwesenheit von Autos und auch die Ruhe dank fehlenden Verkehrslärms würden die Lebensqualität in den Städten deutlich erhöhen. Man kann die Vögel wieder zwitschern hören und Blumen und Gräser riechen, statt schädliche Abgase einzuatmen. Nachts ist auch in schlecht gedämmten Häusern wieder ein Durchschlafen möglich. Darüber hinaus würde sich das Stadtbild rasch wandeln – der Platz, der jetzt für Parkplätze und auch Straßen genutzt wird, würde für Grünanlagen, Spielplätze und kleine Outdoor-Erholungsoasen zur Verfügung stehen.

Diese Nachteile oder Risiken bringen autofreie Innenstädte mit sich

Probleme für den Einzelhandel und innerstädtische Betriebe

Der Einzelhandel konkurriert mehr und mehr mit dem Onlinehandel. Eine Sperrung der Innenstädte für den Autoverkehr würde den Kundenschwund der Geschäfte noch verstärken. Die Erreichbarkeit der Innenstädte durch den öffentlichen Personennahverkehr ist vielerorts (noch) unzureichend, um ein Autoverbot kompensieren zu können. Viele Menschen, die jetzt zum Einkaufsbummel von außerhalb in die Städte fahren, würden es bei einem Autoverbot einfach sein lassen. Gleichzeitig sind die Kosten für Ladeninhaber in den Innenstädten aber aufgrund der vermeintlich guten Lage sehr hoch. Dieselbe Problematik betrifft nicht nur Einzelhändler, sondern auch gastronomische Betriebe, Veranstaltungshäuser und Dienstleistungen wie ein Friseurbesuch.

Einschränkungen der Stadtbewohner

Längst nicht alle Bürger, die in den Innenstädten leben, wären bereit auf ihr Auto zu verzichten. Das Auto ist für viele der Inbegriff persönlicher Freiheit und eine bequeme Möglichkeit, jederzeit von A nach B zu gelangen. Etliche ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen, aber auch Familien mit Kindern, können sich einen Alltag ohne Auto kaum vorstellen. Die Kinder müssen dahin und dorthin, Einkäufe müssen erledigt werden, Arzttermine stehen an und ein Berufsleben haben die meisten Menschen auch noch.

Autoreduzierte Innenstädte könnten die Lösung sein

Es gibt Argumente für und gegen autofreie Innenstädte. Man kann Innenstädte aber schlecht von jetzt auf gleich komplett für den KFZ-Verkehr sperren und Stadtbewohnern die Haltung eines Autos damit verbieten. Die Lösung könnten autoreduzierte statt autofreie Innenstädte sein. Es sollten verstärkt Anreize geschaffen werden, damit die Stadtbewohner freiwillig vermehrt aufs Auto verzichten und Menschen von außerhalb öfter mit Bus und Bahn in die Städte kommen. Dafür wird von vielen, die sich mit der Thematik auseinandersetzen, ein konsequenter Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs gefordert. Wenn Stadtbewohner zum Beispiel im Alltag erst lange auf einen Bus warten müssen, wollen sie verständlicherweise nicht auf ihr Auto verzichten. Eine Verbesserung der Fahrradinfrastruktur ist ebenfalls wünschenswert. Den Stadtbewohnern könnten von der Stadt zum Beispiel mietweise E-Lastenräder zur Verfügung gestellt werden, damit sie ihre Einkäufe erledigen können. Intelligente Mobilitätskonzepte sind gefragt, dann lässt sich der Autoverkehr in den Innenstädten langsam aber sicher verringern, ohne dass Anwohner, Einzelhändler oder Dienstleister große Einschränkungen in Kauf nehmen müssen.

Quellen

https://www.trendyone.de/news/argumente-fur-und-gegen-autofreie-innenstadte

https://www.deutschlandfunkkultur.de/autofreie-innenstadt-oeko-traeumerei-oder-zukunftsmodell-100.html

https://www.mobilegeeks.de/artikel/autofreie-innenstadt-in-amsterdam-kann-man-wieder-blumen-riechen/

https://www.zeit.de/mobilitaet/2021-07/autofreie-innenstaedte-verkehrswende-strassenverkehr-konzept?page=2#comments

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