CO₂-Ausstoß auf Rekordtief: Trotzdem klafft eine Lücke zum Erreichen der Klimaziele
Die CO₂-Emissionen in Deutschland sind 2023 auf den niedrigsten Stand seit 70 Jahren gefallen. Ein Großteil der Minderung geht auf einen unerwartet starken Rückgang des Kohleverbrauchs zurück. Für dauerhafte Emissionseinsparungen muss die Bundesregierung 2024 die Lücken in der Klimapolitik schließen.
07.01.2024 • 14:53 Uhr
Endlich mal gute Nachrichten: Laut vorläufigen Zahlen von Agora Energiewende hat Deutschland im letzten Jahr so wenig Treibhausgase emittiert wie seit 70 Jahren nicht mehr. Konkret ging der CO2-Ausstoß im Vergleich zum Vorjahr um 73 Millionen Tonnen zurück, womit die Gesamtemissionen auf 673 Millionen Tonnen sanken.
„Die Emissionen haben 2023 den tiefsten Stand seit den 1950er Jahren erreicht. Gleichzeitig handelt es sich um den größten Rückgang von Jahr zu Jahr in diesem Zeitraum“, sagte der Deutschland-Direktor von Agora Energiewende, Simon Müller.
Klimaziele in Deutschland: Zwei Bereiche bleiben problematisch
Leider gibt es auch einen Haken: Denn es ist recht wahrscheinlich, dass das Rekordjahr keinen dauerhaften Erfolg für den Klimaschutz darstellt, so die Bilanz der Studie unter dem Titel „Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2023“.
So bleiben zum Beispiel zwei Bereiche problematisch. In der Bilanz des Gebäudesektors verzeichneten die Emissionen lediglich einen Rückgang um drei Millionen auf 109 Millionen Tonnen CO2. Ein Hauptgrund dafür war der geringere Heizbedarf aufgrund der milden Witterungsbedingungen. Dennoch blieb dieser Bereich hinter den Klimazielen zurück und verfehlte das Ziel für 2030 um acht Millionen Tonnen.
Auch im Verkehrssektor wurden die im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele erneut nicht erreicht. Agora Energiewende berichtet, dass die Emissionen hier um drei Millionen auf 145 Millionen Tonnen CO2im Vergleich zum Vorjahr gesunken sind, was jedoch immer noch zwölf Millionen Tonnen über dem angestrebten Zielpfad liegt. Zudem stagnierte der Anteil der Elektroautos an den Neuzulassungen.
Klimaziele in Deutschland: Flaute in der Industrie
Hinzu kommt: Der Rückgang der Emissionen ist nicht nur auf langfristige Verbesserungen zurückzuführen. Tatsächlich sind nur etwa 15 Prozent dieser Reduzierung dauerhaften Maßnahmen wie dem Ausbau erneuerbarer Energien, effizienterer Energieverwendung und der Umstellung auf umweltfreundlichere Brennstoffe zu verdanken. Überraschenderweise entfällt rund die Hälfte der Emissionsreduktion auf kurzfristige Faktoren wie einen gesunkenen Stromverbrauch.
Ein weiterer wesentlicher Faktor für die niedrigeren Emissionen ist die momentane Flaute in der deutschen Industrie. Besonders betroffen ist hierbei die energieintensive Industrieproduktion, die einen deutlichen Einbruch zu verzeichnen hat.
„Der krisenbedingte Produktionseinbruch schwächt den Industriestandort Deutschland. Wenn in der Folge Emissionen lediglich ins Ausland verlagert werden, ist auch für das Klima nichts gewonnen“, betonte Müller.
Die verbesserte Klimabilanz Deutschlands im letzten Jahr hat laut Agora Energiewende einen klaren Grund: Es wurde weniger Strom durch das klimaschädliche Verbrennen von Kohle erzeugt. Die Emissionen aus der Stromproduktion sind dadurch um 46 Millionen auf 177 Millionen Tonnen CO2 gesunken – mehr als eine Halbierung im Vergleich zu 1990.
Klimaziele in Deutschland: Starkes Jahr für erneuerbare Energien
Ein weiterer positiver Aspekt ist das starke Jahr für erneuerbare Energien. Besonders hervorzuheben ist hier der Ausbau der Solarenergie, der laut Agora neue Rekorde aufstellte: Zusätzliche 14,4 Gigawatt an Leistung kamen hinzu, was 6,2 Gigawatt mehr als im bisherigen Spitzenjahr 2012 ist. Trotz geringerer Sonnenstunden als im Vorjahr stieg die produzierte Strommenge an. Mit Blick auf die Zukunft plant die Bundesregierung bis 2030 eine installierte Leistung von 215 GW bei Photovoltaik zu erreichen, für 2023 prognostiziert Agora 81,9 GW.
Interessanterweise entstanden Solaranlagen auch ohne staatliche Förderungen: Ganze 9 Prozent der neuen Solarkapazität auf Freiflächen wurden laut der Denkfabrik außerhalb der EEG-Ausschreibungen und damit ohne staatliche Unterstützung errichtet.
„Wir sind in diesem Bereich auf Kurs für die Klimaziele 2030“, sagte Müller. „Voraussetzung, dass das so bleibt, sind der Ausbau und die Digitalisierung der Verteilnetze.“ Bis 2030 will die Bundesregierung den Ausstoß an Treibhausgasen um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 senken.
Laut der Studie haben Windräder im Jahr 2023, dank günstiger Wetterbedingungen und einem moderaten Kapazitätszuwachs, mit einer Produktion von 138 Terawattstunden (TWh) mehr Strom erzeugt als die deutschen Kohlekraftwerke, die auf 132 TWh kamen.
Trotz dieses Erfolgs war der Zuwachs an Erzeugungskapazität mit einem Plus von 2,9 GW bei Windenergie an Land jedoch zu gering, um das ambitionierte Ziel der Bundesregierung von rund 115 GW installierter Leistung bis zum Jahr 2030 zu erreichen.
„Das liegt auch an im Vergleich zur Solarkraft deutlich komplizierteren Genehmigungsverfahren“, stellte Müller fest. Allerdings stiegen die Genehmigungen für Windräder an Land deutlich.
Klimaziele in Deutschland: Politik ist gefordert
Trotz der Minderungen gegenüber 2022 klafft zum Erreichen der Klimaziele 2030 weiterhin eine deutliche Lücke. Um diese zu schließen, ist die Einführung zusätzlicher Klimaschutzmaßnahmen im Jahr 2024 zentral. Dazu kommt, dass nach dem Karlsruher Haushaltsurteil die Finanzierung für Klimaschutzmaßnahmen schwieriger geworden ist.
„Deutschland braucht eine Investitionsoffensive zum Erreichen der Klimaziele“, sagt Müller. Notwendig seien staatliche Mittel etwa für klimaneutrale Heizungen und die Transformation der Industrie. Auch im Bereich der Strom-, Wärme- und Wasserstoffnetze stehen erhebliche Investitionen an. „Die Bundesregierung steht 2024 vor der Aufgabe, die erforderlichen Investitionen für die Klimaneutralität endlich zuverlässig abzusichern. Ein kluger Instrumentenmix kann sicherstellen, dass wir mehr Klimaschutz für jeden Euro aus der Staatskasse erreichen.“
Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2023 - hier geht es zur Studie