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Forscher warnen: Vier Kipppunkte des Weltklimas können bis 2030 erreicht werden

Die Kipppunkte des Weltklimas sind eine kritische Schwelle, an der eine winzige Störung den Zustand oder die Entwicklung eines Systems qualitativ verändern kann. Vier dieser Kipppunkte könnten laut einer Analyse bereits bis 2030 erreicht werden.

18.09.2022 • 08:29 Uhr

Forscher warnen: Vier Kipppunkte des Weltklimas können bis 2030 erreicht werden

2030 – das hört sich nach einer langen Zeitspanne an, das scheint weit weg. Immerhin sind es noch acht Jahre bis dahin. Doch für die Entwicklung des Weltklimas sind das im übertragenen Sinne nur Sekunden – ein Wimpernschlag. Und in dieser Zeit drohen gravierende Veränderungen für das Klima: Vier sogenannte Kipppunkte könnten bis 2030 erreicht werden. Das ist das Ergebnis einer Analyse einer internationalen Gruppe von Klimaforschern, die am 9. September in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht wurde.

Was sind Kipppunkte des Weltklimas? Sie sind eine kritische Schwelle, an der eine kleine Störung den Zustand oder die Entwicklung eines Systems qualitativ und dauerhaft verändern kann. Ein konkretes Beispiel: Ein Gletscher verliert beim Abschmelzen an Höhe und kommt dabei an einen bestimmten Punkt, an dem die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist. Selbst dann nicht, wenn sich die Temperatur auf der Erde nicht weiter erhöht.

Klimawandel: Mehr als 200 Studien zu Kipppunkten

Mehr als 200 Studien sind seit 2008 zum Thema Kipppunkte erschienen. Das Forscher-Team um David Armstrong McKay von der Universität Stockholm, Tim Lenton von der University of Exeter und Ricarda Winkelmann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hat sie studiert und ein aktualisiertes Modell der Klima-Kipppunkte erstellt. "Dies ist die erste umfassende Neubewertung aller potenziellen Kippelemente, ihren Kipppunkten und den Zeitskalen und Folgen ihres Umkippens", so das Team in der Analyse. Neun Kipppunkte sind demnach für das weltweite Klima relevant, sieben haben weitreichende regionale Auswirkungen.

Die vier Kipppunkte, die laut den Forschern beim Erreichen einer Erderwärmung von durchschnittlich 1,5 Grad Celsius, im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter, erreicht werden:

  • das grönländische Eisschild. Durch das Abschmelzen verliert er an Höhe und gerät in wärmere Bereiche, was das Abschmelzen beschleunigt.
  • das westantarktische Eisschild. Aufgrund bestimmter Fließprozesse kann es instabil werden. Das ist der Fall, sobald das sich das Eis – zum Beispiel als Folge wärmeren Ozeanwassers – einmal weit genug zurückgezogen hat. Danach beschleunigt sich der Eisverlust.
  • das Absterben der tropischen Korallenriffe. Sie werden als "Regenwälder der Meere" bezeichnet, denn sie haben einen enormen Einfluss auf die Nahrungskette im Meer, den Nähr- und Kohlenstoffkreislauf im Ozean.
  • das Tauen des Permafrost-Bodens. Taut er auf, werden riesige CO2– und Methan-Mengen freigesetzt. Und damit ein Teufelskreis in Gang gesetzt, denn je mehr CO2 sie freisetzen, desto schneller taut der restliche gefrorene Boden auf, denn durch die freigesetzten Treibhausgase wird die globale Erwärmung nur weiter verstärkt.

Ihre Prognose: Die 1,5 Grad werden bis 2030 traurige Realität. Im Moment liegt die globale Mitteltemperatur bei ungefähr 1,1 Grad.

Klimawandel: Forscher schlagen Alarm

Langfristig wird es aber noch alarmierender: Die bislang eingeführten Maßnahmen der weltweiten Klimaschutzpolitik führen bis 2100 zu einer Begrenzung der Erwärmung auf 2,6 Grad. Damit "werden zehn Kipppunkte wahrscheinlich erreicht, das Umkippen von sechs weiteren Kippelementen wird möglich", heißt es in der Analyse.

Die Folgen sind drastisch. "Damit ist die Erde geradewegs auf Kurs, mehrere gefährliche Schwellenwerte zu überschreiten, die für die Menschen auf der ganzen Welt katastrophale Folgen haben würden“, sagt Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in einer Mitteilung seines Instituts. Er ist ein weiterer Mitautor der Studie.riffe.jpg

Je höher die Erderwärmung, desto mehr Kipppunkte könnten erreicht werden. So reichen bereits zwei Grad, um das Abschmelzen der Gebirgsgletscher außerhalb der Polargebiete sowie das Absterben des borealen Nadelwalds im südlichen Verbreitungsgebiet so zu beschleunigen, dass es kein Zurück mehr gibt.

Klimawandel: "Jedes Zehntelgrad zählt"

Bei anderen Kipppunkten dauert es deutlich länger. Doch auch hier gilt: Ist der Kipppunkt erreicht, ist die Entwicklung unumkehrbar. Deshalb mahnt Rockström: "Um gute Lebensbedingungen auf der Erde zu erhalten, die Menschen vor zunehmenden Extremen zu schützen und stabile Gesellschaften zu ermöglichen, müssen wir alles tun, um das Überschreiten von Kipppunkten zu verhindern - jedes Zehntelgrad zählt." Oder anders gesagt: Es ist noch nicht komplett zu spät, doch wir sollten keine Zeit mehr verlieren - jeder ist gefragt.

Denn sollten alle geplanten Maßnahmen der Politik tatsächlich eingeführt werden, könnte der Anstieg bis 2100 auf 1,95 Grad begrenzt werden, haben die Forscher errechnet. Was einmal mehr unterstreicht, wie sehr die Zeit drängt. Auch wenn es sich nach einer langen Zeitspanne anhört.

Quelle: https://www.science.org/doi/10.1126/science.abn7950

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